„Wir fordern eine glaubhafte und zeitgemäße Erneuerung der Partei!“
Die Genoss*innen der SPD Oldenburg haben sich in ihrer Vorstandssitzung am 3. Juni 2019 intensiv mit den Ergebnissen der Europawahl und dem Zustand der Partei auseinandergesetzt. Als Resultate ergaben sich die Forderungen nach einem unverwechselbar sozialdemokratischen Profil, einer grundlegend neuen, zeitgemäßen innerparteilichen Organisation und nach einer Stärkung der Untergliederungen.
Ausgangssituation
Ausgangspunkt der Debatte waren das erschütternde Wahlergebnis und in Folge der Rücktritt der Partei- und Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles. Bundesweit hat die SPD 2019 ein Ergebnis von 15,8% eingeholt und 11,4% im Vergleich zur letzten Europawahl verloren. Sie ist damit nur noch drittstärkste Kraft hinter der CDU (22,6%) und den Grünen (20,5%).
In der Stadt Oldenburg hat die SPD 17,2% bekommen und im Vergleich zur letzten Europawahl 12,6% verloren. Die SPD, vormals stärkste Kraft in der Huntestadt, ist nur noch die drittstärkste politische Kraft. Die Grünen verzeichnen einen Zugewinn von 14,2% und sind damit stärkste Kraft (35,7%). Mit Blick auf den Bereich Weser-Ems hat die SPD in Oldenburg einen massiven Einbruch erfahren. Allerdings ist diese Entwicklung in vielen größeren Städten im Westen Deutschlands festzustellen. Die Wählerabwanderung weg von der SPD und die gleichzeitig gestiegene Wahlbeteiligung haben hauptsächlich den Grünen genutzt.
Die Genoss*innen haben in der Stadt Oldenburg einen engagierten Wahlkampf geführt. In den sechs Wochen vor der Wahl wurden insgesamt 45 Infostände in allen Stadtteilen durchgeführt. Rund 100 Genoss*innen waren für die SPD im Einsatz. Über den Unterbezirksvorstand, die SPD-Fraktion im Rat und die Jusos wurden zusätzlich wichtige übergeordnete Themen mit Bezug zur Stadt platziert (Antrag zur Einsetzung einer Stabsstelle Klimaschutz, Wahlparteitag mit den Leitanträgen Verkehr und Soziales, Juso-Demo zum Thema Upload-Filter, Anträge zum Bau bezahlbarer Wohnungen, Umgang mit der CDU-Forderung nach einer kriminologischen Regionalanalyse etc.). Angesichts der zahlreichen und breit aufgestellten Aktivitäten schmerzt es umso mehr, dass wir bei der EU-Wahl alle Wahllokale im gesamten Stadtgebiet verloren haben.
In einer ersten Analyse wurden Eindrücke, Missmut und Forderungen von aktiven Sozialdemokrat*innen geäußert und intensiv diskutiert. Die Ergebnisse überreicht der UB-Vorstand hiermit dem Bundesvorstand schriftlich. Wir, die SPD Oldenburg, fordern den Bundesvorstand nachdrücklich dazu auf, sich dort ebenso intensiv mit den Inhalten zu beschäftigen. Wir erwarten außerdem eine kurzfristige, nicht aus fertigen Textbausteinen bestehende Rückmeldung des Parteivorstands, wann und in welcher Form unser Schreiben von ihm berücksichtigt wird.
1) Was lief gut?
Von fast allen Teilnehmer*innen wird der Wahlkampf durch die Ehren- und Hauptamtlichen vor Ort als positiv bewertet. Die Arbeit der Ortsvereine wird gelobt. Die hohe Anzahl der Infostände und auch die interne Stimmung werden positiv beschrieben. Das Lob gegenüber der Bundesebene (Parteivorstand, Willy-Brandt-Haus etc.) fällt deutlich geringer aus. Positiv werden nur die sichtbare Spitzenkandidatin Katarina Barley und der Kampf gegen rechtsnationalistische Tendenzen erwähnt.
2) Was lief schlecht?
Die Wahlkampagne wird insgesamt stark kritisiert: Die Botschaften seien inhaltsleer und phrasenhaft, die Plakate blass, die Flyer nicht überzeugend, der Spitzenkandidat Udo Bullmann weithin unbekannt. Man tat sich schwer, das Material zu verteilen, und noch schwerer, selbiges zu erklären. Generell wurde bemängelt, dass keine sozialdemokratischen Themen erkennbar waren, die Partei für nichts stand und dass die Themen nicht bei den Wähler*innen verfingen. Dagegen haben Themen gezogen (insbesondere Klimaschutz), die nicht als Kernthemen der SPD wahrgenommen werden. Auch wurde der Umgang in der Führungsspitze und deren öffentliches Bild (kein Zusammenhalt, Zankereien, Umgang mit Kevin Kühnert) kritisiert. Besonders negativ wurde der Umgang mit dem Thema Digitalsteuer wahrgenommen: Eine eindeutige Position der Partei wurde durch den Vizekanzler Olaf Scholz völlig konterkariert. Wie in vergangenen Wahlkämpfen haben auch diesmal wieder einzelne Personen mit Störattacken und unglücklichen öffentlichen Auftritten der Sozialdemokratie insgesamt geschadet.
3) Beitrag zur Erneuerung
In vielen Beiträgen wurde deutlich, dass eine klare Profilierung der SPD dringend notwendig ist. Die inhaltliche Beliebigkeit ist ein wesentlicher Punkt, der Glaubwürdigkeit kostet. Es wird u. a. betont, dass die Partei ein eigenes Profil finden muss und nicht Themen kopieren soll. Ausgehend von den Grundwerten der Partei muss diese sich auf originär sozialdemokratische Themen wie die Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik und die Grund- und Menschenrechte (inklusive der Gleichstellung und des Rechts auf Privatsphäre auch im digitalen Netz) konzentrieren. Wir fordern eine deutlich stärkere Fokussierung auf unsere geleistete Arbeit und gleichzeitig eine kompromisslose Auseinandersetzung mit den konkreten Themen der politischen Mitbewerber*innen. „Von den Grünen werden wir das Thema Klimaschutz nicht erobern. Unsere Themen sind seit über 150 Jahren Bildung und Soziales. Damit waren, sind und werden wir erfolgreich sein“, so ein Genosse. Themen wie Klima- und Umweltschutz, Ordnungspolitik und auch Wirtschaftspolitik dürfen dazu nicht im Widerspruch stehen, sondern sind mit Blick auf soziale Auswirkungen zu betrachten und zu gestalten.
Die innerparteiliche Demokratie muss gestärkt werden, damit sich die Mitglieder einfacher und umfassender beteiligen können. Wir fordern einen deutlich ernsthafteren Umgang mit dem Antragsverfahren bis hin zum Bundesparteitag. Jede*r Antragsteller*in soll mindestens das Recht auf eine Eingangsbestätigung und eine Stellungnahme des/der Adressat*in (je nach politischer Ebene) erhalten. Die Bearbeitung angenommener oder überwiesener Anträge darf sechs Monate nicht überschreiten und muss transparent geschehen. Diese Verfahrensweise soll in den Statuten und Satzungen festgeschrieben werden.
Darüber hinaus fordern wir sicherzustellen, dass Inhaber*innen von Spitzenfunktionen die „Bodenhaftung“ nicht verlieren. Jedes Vorstandsmitglied muss nachweisen, dass es eine bestimmte Anzahl von Besuchen pro Jahr in den unteren Gliederungen außerhalb des eigenen Wahlkreises absolviert hat. Auf den entsprechend folgenden Parteitagen ist dazu mindestens schriftlich Bericht zu erstatten. Die Verbindung zwischen der Spitze und der Basis muss gestärkt werden.
Die Jugendorganisationen der Partei müssen deutlich stärker unterstützt und in der Arbeit aller Parteigliederungen berücksichtigt und eingebunden werden. Auch ist zu überlegen, das jeweilige Juso-Programm zu veröffentlichen, um die Zielgruppe der jungen Menschen anzusprechen.
Es ist fraglich, ob Flyer und Plakate als Wahlkampfinstrument noch zeitgemäß sind. Es muss ein stärkeres Gewicht auf soziale Medien gelegt werden, mit frischen, ansprechenden Konzepten und zielgruppengemäßer Sprache. Dazu gehört auch eine sachgemäße und niedrigschwellige Unterstützung der Gliederungen bei der Umsetzung von Kampagnen und Aktivitäten.
Wie geht es nun weiter mit der innerparteilichen Ordnung?
Wir, die SPD Oldenburg, erwarten von den Parteivorständen und Fraktionen auf allen politischen Ebenen einen neuen Umgang mit den Meinungen der einzelnen Mitglieder und den Gliederungen. Bisher ist die Erneuerung der Partei nicht zu erkennen. Notwendige Änderungen für eine wirkliche Erneuerung können aber nur in enger Beteiligung mit den Mitgliedern und den unteren Gliederungen erfolgen.
Am 3. Juni haben wir vom Bundesvorstand die Information bekommen, welche Schritte nach dem Rücktritt von Andrea Nahles eingeleitet werden sollen. Wir empfinden es als unglücklich, mit welchem Tempo dieses Verfahren eingeleitet werden soll.
Mit Schreiben vom 3. Juni hat der Parteivorstand den Unterbezirk Oldenburg ebenfalls darüber informiert, dass die Mitglieder bitte bis zum 13. Juni Vorschläge für eine aktive Beteiligung einreichen mögen. Dieses Vorgehen ist überhastet und es ist fraglich, ob so die Ortsvereine berücksichtigt werden können! Die Basis-Organisation der Partei muss die Möglichkeit haben, sich in einem hinreichenden Zeitraum ein Meinungsbild zu verschaffen. Dieses ist innerhalb von nur zehn Tagen kaum möglich. Hier gilt: Sorgfalt vor Schnelligkeit! Der Parteivorstand verkennt nicht nur, dass gerade in den Ortsvereinen die Parteiarbeit ehrenamtlich neben beruflichen und familiären Verpflichtungen geleistet wird, sondern auch, dass man das Ergebnis in Ruhe bewerten muss, um richtige Konsequenzen einzuleiten.
Wir, die SPD Oldenburg, fordern, dass auf dem nächsten Bundesparteitag ehrlich und umfassend berichtet und bewertet wird, wie weit unsere politischen Vorhaben in der Großen Koalition bereits umgesetzt werden konnten. Auf dieser Grundlage muss die Partei entscheiden, ob es noch sinnvoll und zumutbar ist, die Große Koalition fortzusetzen. Diese Entscheidung muss vor allem mit Blick auf unsere künftige inhaltliche Ausrichtung getroffen werden. Der Fortbestand der Großen Koalition ist nicht alternativlos.
Uns ist wichtig, dass die Führungsspitze unserer Partei nicht in Hinterzimmern ausgeklüngelt wird, sondern per Urwahl von allen Mitgliedern bestimmt wird. Dabei muss sichergestellt sein, dass es tatsächlich eine „Wahl“ gibt. In Oldenburg haben wir mit der engen Beteiligung unserer Mitglieder gute Erfahrungen gemacht. Wir haben das Delegiertenprinzip für unsere Parteitage abgeschafft, und unsere Mitglieder bringen sich seither noch engagierter ein. Von einer Urwahl erhoffen wir uns zum einen, dass mögliche Kandidat*innen in transparenten Konferenzen Rede und Antwort für ihre politischen Positionen stehen und zum anderen sehen wir so eine reelle Chance, dass die Basis wieder geschlossen und motiviert hinter ihrer Führung steht.
Wir, als Vorstand der SPD Oldenburg, sind bereit an einem glaubhaften und zeitgemäßen Erneuerungsprozess mitzuwirken.
Für den Vorstand
Nicole Piechotta – Paul Behrens – Hanna Naber – Tom Schröder
Malte Diehl – Thomas Honesz – Wolfgang Conty – Dr. Jens Albers
Veronika Betzel – Kerstin Beyer – Vally Finke – Dr. Olaf Janßen – Haiko Meents – Gabriela Wiegand – Thomas Zielke – Frank Zobel